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Ausgabe vom 01. August 2017



  • Auf ein offenes Wort: Einmischen erwünscht!

  • Zitat der Woche


Auf ein offenes Wort:
Einmischen erwünscht!







von Martina Bisdorf
 (Chefredakteurin BÖRSEN-SPIEGELdaily)

Redaktion BÖRSEN-SPIEGEL        FacebookLike   TwitterFollow



Liebe Leserinnen, liebe Leser,

ein großes Manko, ja eigentlich ein unübersehbares Defizit in Unternehmerkreisen ebenso wie in unserer gesamten Gesellschaft ist das offen gesprochene Wort – ohne Rücksicht auf Verluste. Kaum jemand traut sich heute, wirklich Klartext zu sprechen und unumwunden seine Meinung zu politischen Themen zu äußern. Damit meine ich nicht Stammtischgespräche in bierlustiger Runde, bei denen der Chef, der Kunde oder der Geschäftspartner nicht mithört.

Nein, ich meine offene Worte in der Firma, die etwa nicht konform gehen mit dem, was der Kollege am Schreibtisch gegenüber denkt oder mit der Meinung, die der Chef für gewöhnlich vertritt. Ebenso wie die Vertretung klarer Positionen, wenn es um ethische Themen geht, auch wenn der Großkunde anders denkt. Zu viel verlangt? Offenbar ja, denn bei uns in Deutschland herrscht eine regelrechte „Anpassungskultur“ – je weiter man in den Chefetagen nach oben geht, desto weniger Einmischung in brisante politische Themen ist angesagt. Anders verhält sich das traditionell in den USA.

Deutsche Zurückhaltung kontra amerikanische Offenheit

Die meisten deutschen Firmenlenker halten es offenbar gerne mit dem US-Ökonomen Milton Friedman, der 1970 folgende Devise herausgab: „The business of business is business." Auf „gut Deutsch“: Der Zweck eines Unternehmens ist das Geldverdienen - und deshalb, so Friedman, sollten sich Führungskräfte auch zu nichts anderem äußern als ihrem Kerngeschäft. Das kommt auch heute noch den meisten Managern hierzulande entgegen. Die einen fühlen sich nicht qualifiziert, sich zu äußern, andere wiederum fürchten, sich zu blamieren, wieder andere sind schlicht und einfach desinteressiert an dem, was in der Welt um ihr eigenes Imperium herum passiert.

In den USA hingegen leisten sich die CEOs gerne eine politische Meinung. Ganz im Sinne von Donald David. Über ihn ist in der aktuellen Ausgabe der WirtschaftsWoche zu lesen: „Der Exdekan der Harvard Business School appellierte schon im Jahr 1949 an Manager, sich für gesellschaftliche Belange einzusetzen. Damit positionieren sie sich nicht nur. Sie profilieren sich auch - und davon profitieren mitunter auch die Unternehmen. Haltung lohnt sich. Wissenschaftler bezeichnen dieses Phänomen heute als ,CEO Activism‘. Darunter verstehen Managementforscher wie Aaron Chatterji von der Duke-Universität in Durham/North Carolina das Verkünden einer politischen Meinung, die das eigene Kerngeschäft höchstens am Rande betrifft. Heute ist das Thema drängender denn je. ,CEOs können viel direkter mit den Konsumenten kommunizieren, zum Beispiel über soziale Medien‘, sagt Chatterji, ,Wir erwarten künftig noch mehr Aktivismus.‘ Einige prominente Beispiele gibt es bereits. Im vergangenen Jahr sollte im US-Bundesstaat North Carolina ein Gesetz in Kraft treten, von dem sich Menschen aus der LGBT-Community wie Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender diskriminiert fühlten. PayPal-Chef Dan Schulman reagierte sofort und strich daraufhin 400 geplante Stellen in Charlotte, der größten Stadt des Bundesstaates. Das Gesetz, sagte der CEO, widerspreche den Werten des Onlinebezahldienstes.“

Haltung lohnt sich – Farbe bekennen im Zeitalter von Social Media

Ebenfalls ethisches, zumindest für seine Firmenbelange nachhaltiges Handeln kann man Tesla-CEO Elon Musk nachsagen. Nachdem sich US-Präsident Donald Trump im Juni von den Pariser Klimaverträgen abgekehrt hatte, kehrte der Tesla-Lenker mit einem Tweet („Der Klimawandel ist real.") Trumps Wirtschaftsbeirat den Rücken. Jeffrey Immelt, Chef von General Electric, kritisierte den Schritt ebenfalls öffentlich und forderte die Industrie auf, eine Führungsrolle im Kampf gegen den Klimawandel zu übernehmen.

Sicher mögen hier bei beiden Konzernlenkern auch eigene Interessen bzw. die ihrer jeweiligen Firma im Vordergrund stehen. Profitieren sie schließlich beide mittel- bis langfristig vom Vormarsch den Energiewandels. Musk mit seinen Elektroautos und Immelt als Lenker des größten Mischkonzerns weltweit. Sein Unternehmen steht, neben den Geschäftsbereichen Transport, Gesundheitswesen, Konsum und Finanzwesen nicht zuletzt für Erneuerbare Energien. Und dennoch: Eine solch massive Missachtung der Lebensgrundlage unserer Enkelgenerationen sollte von der Wirtschaft nicht unkommentiert bleiben. Schließlich darf man von Führungskräften auch Haltung erwarten und diese wiederum ist unabdingbar, wenn es darum geht, Werte zu transportieren.

Management-Vorbild Jeffrey Immelt verabschiedet sich…

Übrigens, nach 16 Jahren am Ruder des Siemens-Rivalen General Electric hat Jeffrey Immelt seinen Posten gestern offiziell abgegeben. Der 61-Jährige fasst seine Erfahrungen aus dieser Zeit in „Zehn Lektionen“ zusammen. Sie tragen die Überschrift „Dinge, die ich gelernt habe“. (Nachzulesen im Handelsblatt, Online-Ausgabe von heute). Ja, Führen bedeutet auch Lernen – und zwar viel über sich selbst. Er muss es wissen.

Bereits kurz nach seinem Amtsantritt beim größten Konglomerat der Welt im September 2001 nahmen die Katastrophen ihren Lauf: Terroranschlag, Rezession, Geschäftseinbruch. Wenige Jahre später stand General Electric in der Finanzkrise nah am Abgrund. Kredite und Verbindlichkeiten von GE Capital über mehrere Hundert Milliarden Dollar trafen das Unternehmen hart. In der Folgezeit baute Immelt den Mischkonzern um, führte ihn zurück zu seinen industriellen Wurzeln zurück und investierte verstärkt in die Digitalisierung der verarbeitenden Industrie. Damit erwarb er sich den Ruf als Management-Vorbild. Die Nachfolge tritt nun GE-Unternehmensveteran John Flannery an.


… und gibt wertvolle Erfahrung weiter

Immelts „erstes Gebot“ sei hier an dieser Stelle genannt, denn es hat mich besonders beeindruckt: „Den Mitarbeitern ein Gefühl von Sinn vermitteln und zugleich hohe Standards setzen. Jede Minute am Tag wachsam sein, respektvoll und motivierend: ,Seien Sie ein Wettbewerber‘.“ Es geht ihm um die Sinnhaftigkeit der Arbeit, die in etlichen zeitgenössischen Studien als „gestrig“ verrufen wird. Aber ist es nicht so, dass Sinnhaftigkeit der Tätigkeit, die ein Mitarbeiter ausführt, auch mit seiner eigenen Wertigkeit zu tun hat? Ich fühle mich wertgeschätzt und geachtet, wenn ich einer Arbeit nachgehen kann, die Sinn macht und die mir Respekt – auch den meiner Vorgesetzten – einbringt. Hier liegt die Kunst der Mitarbeitermotivation. Und dazu gehört eben auch, Farbe zu bekennen und damit Respekt und Achtsamkeit gegenüber seinen Mitarbeitern auszudrücken. 

Ich will hier kein Loblied auf Herrn Immelt singen, aber er kann ein Vorbild dafür sein, dass man auf Führungsebene Farbe bekennt und sich auch dann politisch einmischt, wenn es unbequem werden könnte.


Führen heißt Werte und Orientierung vermitteln…

Schließlich sind wir in der Pflicht, ein nachhaltiges Wertesystem nicht nur zu erhalten bzw. aufzubauen, sondern es auch zu verteidigen und weiterzugeben. Langsam aber sicher scheint sich diese Erkenntnis auch bei den Konzernlenkern außerhalb der USA durchzusetzen. So erlaubten sich laut Europe Communication Monitor im Frühjahr mehr als 3.000 befragte Kommunikationschefs, zu diesen gesellschaftlichen Themen offiziell Stellung zu nehmen: Zu Umwelt und Nachhaltigkeit erlaubte sich immerhin fast die Hälfte eine öffentliche Äußerung. Bei Populismus und Anti-Elitismus waren es hingegen nur 14%.

Es liegt auf der Hand, dass man sich „von oben herab“ umso weniger äußern möchte, je kontroverser die Themen sind. Einer der wenigen Deutschen, die dafür bekannt sind, auch vor strittigen Sujets nicht zurückzuschrecken, ist Siemens-Vorstandsvorsitzender Joe Kaeser. Das brachte ihm sogar den Ruf des „Außenministers der Wirtschaft" ein. Ob er beim Weltwirtschaftsforum in Südafrika dem gesamten afrikanischen Kontinent Mut zuspricht, in Moskau mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über die Krim-Krise debattiert oder nach der Wahl Donald Trumps demonstrativ seine Mitarbeiter in Mexiko besucht - Kaeser zeigt in außenpolitischen Fragen immer wieder Haltung.

… aber bitte authentisch

Gut also, Flagge zu zeigen, aber das sollte dann auch wirklich fundiert geschehen. Die Menschen spüren, ob sich ein Meinungsträger mit dem Thema identifiziert, über das er spricht, ob er wirklich das sagt, was er tief im Innersten denkt. Und genau so kommt er dann auch draußen an – oder eben nicht.

Wie auch immer Sie zu diesem Thema stehen, ich denke, es tut jedem Unternehmen gut, eine Haltung zu haben und diese auch nachhaltig zu zeigen, ganz einfach in dem die häufig nur angepriesenen Werte nachvollziehbar gelebt werden. 

Mit diesen Einsichten wünsche ich Ihnen einen schönen Tag. Machen Sie was daraus, denn Zeit ist eines der kostbarsten Güter, die wir haben.

Herzliche Grüße

Ihre
Martina Bisdorf
(Chefredakteurin BÖRSEN-SPIEGELdaily)


PS: Heute Abend nachbörslich gibt Apple seine Quartalszahlen bekannt. Erfahren Sie morgen hier an dieser Stelle, wie die iPhone-Schmiede dasteht. 





Zitat der Woche


“The future comes. Never apologize for investing in it.” 

Deutsch: "Die Zukunft kommt. Entschuldigen Sie sich nie dafür, in sie zu investieren.“


Scheidender General Electric-CEO Jeffrey Immelt in seinen „Things I learned“






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