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Ausgabe vom 10. Mai 2016
Crowd-Gedanke startet durch – Erfolgreiche Start-ups nutzen Synergien
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Crowd-Gedanke startet durch – Erfolgreiche Start-ups nutzen Synergien
von Martina Bisdorf
Redaktion BÖRSEN-SPIEGEL Like Follow
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Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Start-up sein in Deutschland, das ist kein leichtes Unterfangen. Im Februar habe ich Ihnen an dieser Stelle einige erfolgversprechende Jungunternehmen vorgestellt, die den Weg in die Selbständigkeit gewagt haben – mit überaus „verrückten“ Ideen. Das Spektrum umfasste die kunstvolle Aufarbeitung von Orientteppichen über Metallgestelle, mit denen man ganzkörperlich in die virtuelle Welt abtauchen kann, bis hin zur intelligenten Lampe, die vor Einbrechern schützen soll. Vielleicht erinnern Sie sich.
Was ich Ihnen heute präsentieren will, hört sich von vornherein etwas „vernünftiger“ an. Ob es das wirklich ist, das können Sie nach der Lektüre selbst entscheiden. Jedenfalls scheint es nicht am Ideenreichtum innovativer Menschen zu fehlen – und zwar weltweit. Deshalb habe ich für diese Ausgabe auch ein interessantes chinesisches Start-up beleuchtet, das - zugegebenermaßen - ein noch etwas gewöhnungsbedürftiges Geschäftsmodell vertritt. Aber sehen Sie selbst, wogegen Menschen sich so alles versichern können…
Beginnen wir zunächst in der Lifestyle-Branche, die stärker boomt denn je – und das übergreifend auf die Pharma- und Gesundheitsbranche. Auch dieses Beispiel profitiert im weitesten Sinne von der Gruppe. So werben Eiko Gerten und Nico Kutschenko mit Schönheits-OPs zum günstigen Preis.
Schönheits-OP von der Resterampe - Spitzenmedizin zu attraktiven Preisen
Wie andere Restkontingente für Flugreisen verscherbeln, so preisen die beiden jungen Berliner Schönheits-, Augen- und Zahnbehandlungen für Selbstzahler an. Dazu arbeitet deren Unternehmen MediDate in Deutschland mit rund 50 entsprechenden Kliniken zusammen und vergibt Resttermine, allerdings nicht ganz kurzfristig, bis zu vier Monate müssen Patienten schon mal warten. Dafür lockt das Start-up mit günstigen Preisen. Eine durch MediDate organisierte Operation koste im Schnitt rund ein Viertel weniger als bei vergleichbaren Wettbewerbern, so Eiko Gerten: „Wir wollen Spitzenmedizin zu attraktiven Preisen anbieten."
Das Jungunternehmen finanziert sich durch eine Servicegebühr der Kliniken. Dazu kommt eine vorherige telefonische Beratung, die im Schnitt 18 Minuten dauert. Die Initiative stammt, man höre und staune, nicht von den Gründern, sondern von Klinikärzten, die ihre Kapazitäten auslasten wollen. Gerten und Kutschenko, die das Unternehmen erst letztes Jahr gründeten, rechnen mit einem Umsatz von 6 Mio. Euro per anno, haben bereits 60 Mitarbeiter und sind seit Anfang des Jahres nach Großbritannien expandiert. Die Zahl der Vermittlungen pro Monat liegt immerhin bereits bei ca. 800. Das lässt auf eine hohe Nachfrage bei Schönheitskorrekturen und anderen Privat-OPs schließen.
Vom Lifestyle zur Versicherung – Kuriositäten des Lebens
Wechseln wir nun zu einer anderen Branche – den Versicherungen. So nüchtern das Wort Versicherung klingen mag, man staunt, welch ungeahntes Potenzial für neue, pfiffige Ideen sich hier verbirgt. Vor allem bemerkenswert ist, dass der Gruppen-Gedanke, den wir beispielsweise vom Crowd-Investing oder dem Car-Sharing kennen, hier immer stärker Einzug hält.
Versicherungen im Pulk sind offenbar im Kommen, zumindest sieht das Friendsurance so. Das junge Unternehmen macht Policen durch Gruppentarife billiger. Der Hintergedanke: Viele Kunden nehmen ihre Versicherung nie in Anspruch. Solche Versicherten wollen Janis Meyer-Plath, Sebastian Herfurth und Tim Kunde belohnen. Die jungen Berliner agieren seit 2010 als Makler und leben von den Provisionen. Dazu werden Policen für ganze Gruppen abgeschlossen.
Wer mitmacht, akzeptiert im Schadenfall eine höhere Selbstbeteiligung. Dafür wird die Versicherung günstiger. Die gesparten Beiträge kommen in einen Topf, aus dem die Kosten für den höheren Selbstbehalt bei Schäden getragen werden. Bleibt etwas übrig, wird der Betrag am Jahresende für Kunden, die keine Schäden gemeldet haben, als Bonus ausgeschüttet.
Sicher in der Crowd - Neuer Trend zur Gemeinschaftsversicherung
Bisher bekamen 80% der Kunden den Bonus und so bis zu 40% ihrer Beiträge zurück. 75.000 neue Kunden hat Friendsurance im Vorjahr gewonnen. Dass das Modell alles andere als ein Hirngespinst ist, beweisen allein die mehr als 100.000 Kunden von Friendsurance sowie die 70 Versicherer, u.a. Ergo, Axa und Swiss Life, mit denen das Jungunternehmen zusammenarbeitet.
Jetzt investiert sogar der reichste Mann Asiens, Li Ka-Shing, in das aussichtsreiche Start-up – und zwar satte 15,3 Mio. Dollar. Damit will Friendsurance das Modell auch ins Ausland bringen. „Erstes Expansionsziel ist Australien", sagt Mitgründer Sebastian Herfurth.
Das führt uns direkt weiter ins Reich der Mitte. Auch hier lieferte der Gruppengedanke den Anstoß zur Gründung eines Start-ups. Das Jungunternehmen bietet ein Rundum-sorglos-Paket für heiratswillige Chinesen an.
Rundum sorglos in China - Absicherung gegen Scheidung oder Entführung
Tang Loaec schickt seinen Kunden regelmäßig Beziehungstipps auf ihr Handy. Dabei arbeitet er nicht für eine Partnerbörse, sondern für sein Versicherungs-Start-up in China. Denn, je länger eine Ehe hält, desto besser für sein Konzept. Loaec bietet nicht nur Versicherungen gegen Kindesentführung oder Krankheit der Eltern, sondern auch gegen Scheidungen an. Er hat in Shanghai das Start-up Tongjubao gegründet, das eine Versicherung zwischen Privatpersonen vermittelt und sich damit auf die Grundidee jeder Versicherung besinnt: die Absicherung im Kollektiv.
Kunden zahlen zum Jahresbeginn in einen großen Topf ein. Kommt es zu einem Schaden, wird das Geld herausgenommen. Passiert nichts, erhalten die Versicherten einen Großteil ihres Geldes am Jahresende zurück. Das Start-up selbst behält je nach Versicherung bis zu 25% der Prämie. Dienstleistungen zwischen Privatpersonen sind in China derzeit generell en vogue. Immer mehr Chinesen verleihen Auto, Wohnung oder Geld. Auf chinesischen Kreditplattformen wird mittlerweile vier Mal mehr Geld verliehen als im Rest der Welt zusammen.
Abenteuerliches Produktportfolio stößt auf großes Interesse
Der ehemalige Banker Loaec überträgt diesen Trend auf die Versicherungsbranche. „Menschen brauchen Schutz, aber sie hassen Versicherungen", sagt er. Den Grund sieht er im Interessenkonflikt von Versicherern: Je mehr Schäden sie anerkennen, desto weniger würden sie verdienen. Er will auf die aktuellen Herausforderungen der Menschen in China reagieren. Dieser Versuch führt zum abenteuerlichen Produktportfolio, zu dem neben Policen gegen Scheidung, Kindesentführung und Krankheit der Eltern auch eine Versicherung gegen verlorene Personalausweise zählt. Die Eheversicherung ist die erste Police, die das Unternehmen an den Start gebracht hat. In den Siebzigerjahren lag die Scheidungsrate in China fast noch bei 0%. Heute ist sie in einigen großen Städten auf bis zu 30% geklettert.
Schließt jemand eine Eheversicherung über Tongjubao ab und lässt sich dann scheiden, erhält er im ersten Jahr jeden Monat Geld, um beispielsweise eine zweite Wohnung zu mieten. Für 535 Euro Beitrag im Jahr können sich Kunden beispielsweise rund 19.350 Euro Auszahlung bei einer Scheidung sichern. Das Geld helfe den Kunden, ihr Leben nach der Scheidung neu zu organisieren, so Loaec. Und die Idee kommt gut an: Besonders Frauen mit Kindern oder Eltern, die sich wegen eines künftigen Ehepartners ihres Kindes Sorgen machen, seien interessiert. Seit November letzten Jahres wurden rund 10.000 solcher Policen abgeschlossen. Kunden findet Loaec vor allem übers Internet, aber auch bei Hochzeitsmessen. Was ein wenig makaber anmutet, scheint bestens zu funktionieren. Mittlerweile gibt es weltweit Start-ups, die an ähnlichen Ideen arbeiten.
Gute Ideen zahlen sich aus- Und verdienen Beachtung
Dass sich der Mut zu Innovationen, die durchaus auch mal ein wenig ausgefallen sein dürfen, lohnen kann, zeigen solche erfolgreichen Beispiele von Firmengründungen. Wichtig ist dabei vor allem ein gutes Gespür für den Zeitgeist und die Themen, die die Menschen bewegen. Dafür gibt es zahlreiche gelungene Beispiele, die es verdienen, vorgestellt zu werden.
Deshalb werde ich Ihnen hier im BÖRSEN-SPIEGELdaily künftig öfter vielversprechende Start-ups präsentieren, die einen Blick wert sind. Dabei freue ich mich auf Ihre Meinung zu den vorgestellten Geschäftsideen. Schreiben Sie mir an Martina.Bisdorf@boersenspiegel.com.
Ich wünsche Ihnen einen schönen, ideenreichen Tag.
Herzliche Grüße
Ihre
Martina Bisdorf
PS: Der DAX lugt wieder über die 10.000 Punkte, auch wenn ThyssenKrupp heute mit seinen Bilanzzahlen enttäuschte. Vor allem Kursgewinne in Tokio lassen Anleger in Deutschland zugreifen. Auch in Athen fassen viele Anleger nach Spekulationen auf eine Schuldenerleichterung für Griechenland neuen Mut. Die Athener Börse legte zeitweise um 2,9% zu.
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