Börse, Wirtschaft, Lifestyle - Was Anleger & Börsenprofis bewegt
Ausgabe vom 13. April 2016
Aufstieg und Fall – Quo vadis, Meinungsfreiheit?
Der smarte Buchtipp für den Anleger
|
Aufstieg und Fall –
Quo vadis, Meinungsfreiheit?
von Martina Bisdorf
Redaktion BÖRSEN-SPIEGEL Like Follow
|
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
die heutige Ausgabe des BÖRSEN-SPIEGELdaily will ich mit der Reaktion eines Lesers auf Jürgen Schmitts Äußerung zur Causa Böhmermann beginnen. Sie alle haben das Plädoyer für die Meinungs- und Pressefreiheit unseres BÖRSEN-SPIEGEL-Chefredakteurs am Montag gelesen.
Jener Leser schrieb an Jürgen Schmitt: „Mit Ihrer Auffassung sprechen Sie mir geradezu aus der Seele. Ich hoffe, dass auch unsere Bundeskanzlerin das zu lesen bekommt und sich, bei allen politischen Zwängen denen sie meint gegenüber der Türkei und Herrn Erdogan ausgesetzt zu sein, auch in ihrem eigenen Land ähnlich deutlich für die Meinungsfreiheit äußert. Danke für Ihren Beitrag in dieser Angelegenheit.“
Wir bedanken uns an dieser Stelle für dieses und all die anderen durchweg positiven Feedbacks zum Thema. Zahlreich waren sie, die Zuschriften. Das macht Hoffnung, dass wir uns weder als Volk noch als Journalisten unterkriegen lassen von einer solchen Medienposse. Denn es ist schon erstaunlich, welchen Wind ein bis dato relativ unbekannter Künstler erzeugen kann, wenn er zum vermeintlich richtigen Zeitpunkt in die richtige Kerbe schlägt.
Armutszeugnis und erschreckende Auswirkungen zugleich
Eigentlich ein Armutszeugnis für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, dass er sich nicht scheut, eine solche Angelegenheit zum Politikum zu machen. Aber, was scheut ein Machtmensch schon? Man schaue sich nur die Liste der in seinem Land inhaftierten Journalisten an, deren Berichterstattung nicht dem Tenor seiner Regierung entspricht.
Schlimm genug, dass der Satiriker Jan Böhmermann, der eben jene leidige Debatte mit seinem Schmähgedicht auf den türkischen Präsidenten ausgelöst hat, jetzt unter Polizeischutz steht und er und seine Produktionsfirma btf darüber hinaus beschlossen haben, die für heute angesetzte Aufzeichnung der Sendung Neo Magazin Royal abzusagen.
Als Grund werden von der Produktionsfirma die spektakuläre Berichterstattung und der damit verbundene Fokus auf die Sendung und den Moderator genannt. Die Entscheidung sei in Abstimmung mit dem ZDF gefallen, so btf. Das bestätigte ein ZDF-Sprecher mit den Worten. „Wir respektieren die Entscheidung der Produktionsfirma und von Jan Böhmermann und haben Verständnis für deren Begründung.“
Freie Berichterstattung und Meinungsfreiheit als hohes demokratisches Gut
Die hohen Wellen, die der Fall schlägt, machen uns aber gleichzeitig deutlich, wie wichtig die Freiheit der Berichterstattung ist – und zwar kompetent, objektiv und ohne zu viel Emotion. Genau dafür steht ein Interviewpartner von Giovanni di Lorenzo in seinem Buch „Vom Aufstieg und anderen Niederlagen“.
Bei dem Interviewpartner handelt es sich um keinen Geringeren als den Spiegel-Gründer Rudolf Augstein, der für seine „mitleidlose“ (und das ist durchaus positiv zu verstehen!) Art der Berichterstattung bekannt ist. Aber ich will nicht zu viel vorwegnehmen. Lesen Sie gleich die Buchbesprechung meiner Kollegin Cindy Ullmann, die Ihnen einen interessanten Einblick in den Spiegel-Bestseller gewährt. Wer hätte gedacht, dass das Buch gerade in dieser Woche so an Aktualität gewinnt…
An Aktualität haben übrigens auch unsere Börsenpublikationen mehr denn je gewonnen. Denn immer mehr „smarte Anleger“ entscheiden sich für die kompetente und unabhängige Begleitung durch den „Börsen-Dschungel“ mit unseren Börsenbriefen: BÖRSEN-SPIEGEL smart money, Smart Money Investor, Das 100%-DEPOT und dem TURNAROUND-BRIEF.
Der smarte Buchtipp für den Anleger
Giovanni di Lorenzo „Vom Aufstieg und anderen Niederlagen“
„Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt“ ist wohl eines seiner bekanntesten Bücher. Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, Mitherausgeber des Berliner Tagesspiegel und Moderator der Talkshow 3 nach 9 bei Radio Bremen, hat den Gesprächsband mit dem Altkanzler 2009 veröffentlicht. Die Interviews waren im Jahr zuvor als Kolumne in der Zeit erschienen und stießen dort auf eine solch große Resonanz, dass sie später in einem Buch zusammengefasst veröffentlicht wurden.
Nun hat Giovanni di Lorenzo einen weiteren Gesprächsband herausgebracht. Doch diesmal hat er nicht mit einem, sondern gleich mit 22 Persönlichkeiten gesprochen, die nach seiner Einschätzung vor allem eines verbindet: Sie alle haben „eine empfindliche Niederlage, einen Schicksalsschlag erlitten, eine Entscheidung getroffen, die ihr Leben veränderte, zumindest aber die Angst vor dem Absturz.“ Entsprechend wählte er auch den Titel „Vom Aufstieg und anderen Niederlagen“.
Nun könnte man unterstellen, dass diese Aussage, wohl auf nahezu jeden Menschen zutreffen dürfte. Aber, dass es eben all diesen Persönlichkeiten, Prominenten und Politikern ebenso ergeht, scheint doch berichtenswert. Nicht selten umgibt diese Menschen aus der Sicht der Allgemeinheit ein Mantel der Unantastbarkeit, sie schillern und glänzen sich durch ihr glamouröses Leben und durch die Medien. Solch Glorreiche können doch eigentlich gar nicht fallen, meint man. Und dann kommt Giovanni di Lorenzo und zeigt all diese Persönlichkeiten in ihrer Verletzlichkeit und Fehlbarkeit. Das ist schon eine Besonderheit. Menschen wie Joachim Gauck, Karl-Theodor zu Guttenberg, Silvio Berlusconi, Angela Merkel oder Margot Käßmann haben sich diesem Journalisten in einer Art und Weise offenbart, die Giovanni di Lorenzo ein wirklich besonderes journalistisches Feingefühl attestieren.
Giovanni di Lorenzo öffnet Türen, die bislang als fest verschlossen galten
Hier ein Beispiel: Seine erste Gesprächspartnerin in diesem Buch ist Renate Lasker-Harpprecht. Die 1924 in Breslau geborene Autorin und Journalistin überlebte Haftzeiten in den Konzentrationslagern Auschwitz und Bergen-Belsen. Sie ist damit eine der wenigen nach 2010 lebenden Zeitzeuginnen der Judenverfolgungen der Nationalsozialisten. Ihr Mann, Klaus Harpprecht, kennt Lorenzo von dessen Gastbeiträgen für Die Zeit. Und er selbst soll es auch gewesen sein, der Lorenzo auf die Idee brachte, sie zu interviewen. Doch Klaus Harpprecht soll ihm damals auch gleich zu verstehen gegeben haben, wie schwer es seiner Frau falle, das Erlebte mit anderen zu teilen, sogar mit ihm selbst, ihrem Mann.
Doch vielleicht war genau das der Punkt, der den Chefredakteur reizte. Natürlich hat Renate Lasker-Harpprecht in ihrem Beruf als Journalistin und überlebende Zeitzeugin des Holocaust immer mal wieder über die damalige Zeit berichtet – darum wird sie aufgrund der unendlichen Brisanz dieses Themas wohl nicht herum gekommen sein. Doch sie hat in ihrem langen Leben in der Tat nur sehr wenige Interviews gegeben oder Kolumnen dazu verfasst, darunter einmal eine über die Befreiung aus dem KZ Bergen-Belsen im Januar 1945 in der Frankfurter Rundschau.
Doch diese Kolumne wirkt zum großen Teil sehr nüchtern und objektiv, als würde sie die Geschichte von außen betrachtet erzählen. Von der persönlichen Dramatik, die sie und ihre Schwester zweifelsohne damals erlebt haben, war nichts zu spüren. Umso erstaunlicher ist die Offenheit, die sie Lorenzo in ihrem Gespräch entgegenbringt. Sie hat einen großen Teil von sich selbst offenbart, von dem Schmerz und der Machtlosigkeit, aber auch von dem Mut eines jungen Mädchens in ständiger Lebensgefahr und der Stärke als Frau mit dieser schlimmen Vergangenheit. Lorenzo skizziert Renate Lasker-Harpprecht als Frau, die trotz all des Schreckens ihrer frühen Jugend zu einer willensstarken und weitsichtigen Persönlichkeit werden konnte, die eine klare, aber manchmal auch harte Sicht auf die Menschen hat.
Und so vielversprechend wie das Buch beginnt, so bleibt es auch bis zum Ende: Giovanni die Lorenzo liefert uns mit diesem Gesprächsband nicht nur jede Menge Einblicke in die Welt und die Leben wichtiger Persönlichkeiten, es liefert uns einen großen Teil lebendig erzählte Geschichte, durch die Brille von Menschen betrachtet, die darin ihre persönlichen Schicksale, ihre Stolpersteine im Leben und ihre Wendepunkte fanden. Außerordentlich.
Giovanni di Lorenzo
Vom Aufstieg und anderen Niederlagen
KiWi Verlag
Taschenbuch
ISBN: 978-3-462-04913-8
Mit diesen Eindrücken grüßen wir Sie herzlich, kritisch und pro Meinungs- und Pressefreiheit.
Ihre
Martina Bisdorf und Cindy Ullmann
PS: Einen Aufstieg hat heute endlich der DAX zu vermelden. Gute chinesische Konjunkturdaten und steigende Ölpreise haben die Erholung des deutschen Leitindexes beschleunigt. Die Aktie der Deutschen Bank setzt sich sogar an die Spitze der Tagesgewinner.
|