Börse, Wirtschaft, Lifestyle- Was Anleger & Börsenprofis bewegt
Ausgabe vom 25. Februar 2016
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Pressespiegel:
Was, wenn der Brexit kommt?
von Martina Bisdorf
Redaktion BÖRSEN-SPIEGEL Like Follow
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Liebe Leserinnen, liebe Leser,
„höher, schneller, Trump“, diese Schlagzeile konnte man gestern in den Medien lesen und hören. Dazu passend wurde der Schlachtruf des potentiellen republikanischen Präsidentschaftskandidaten der USA zitiert:„Wir siegen, siegen, siegen", triumphierte der von sich eingenommene Multi-MilliardärDonald Trumpbei seiner Feier in Nevada.
Dabei schien er schon fast zu vergessen, dass es sich zunächst einmal nur um die Vorwahlen handelt... Immerhin ist das der dritte Erfolg in Serie für den 69-jährigen erzkonservativen New Yorker Star-Unternehmer, der die Vereinigten Staaten am liebsten komplett umkrempeln will.
Politikverdrossenheit verschafft Extrem-Kandidaten weltweit Oberhand
Aber nicht nur im US-Wahlkampf, wo ungewöhnlich extreme Kandidaten die Oberhand zu gewinnen scheinen, sondern auch in Europa wächst der Protest der Bürger gegen die herrschende Politik, man schaue sich nur den rapiden Verfall der Zustimmung der Wähler zu den regierenden Parteien bei Umfragen an. Besonders deutlich wird die Abneigung gegenüber der marktwirtschafts-feindlichen europäischen Politik in Großbritannien.
Auf der Insel wird noch in diesem Jahr, am 23. Juni, darüber abgestimmt, ob das Land in der EU bleiben soll. Obwohl die Schotten nur sehr knapp für den Verbleib im Vereinigten Königreich stimmten, scheinen die meisten Kontinentaleuropäer es für unwahrscheinlich zu halten, dass die Briten tatsächlich die Euro-Zone verlassen werden. Die Meinungen gehen über politische Lager hinweg weit auseinander.
Der populäre Bürgermeister Londons plädiert neuerdings offen für den Brexit. In den Umfragen und den Wettbüros liegen beide Lager derzeit etwa gleichauf. Allerdings sind Umfragen und das tatsächliche Verhalten am Wahltag oft Zweierlei, wie die Unterhauswahlen im Mai 2015 und das Schottland-Referendum im September 2014 zeigten.
Möglicher Brexit bereits in die Märkte eingepreist?
Was aber würde das für die europäische Wirtschaft bedeuten? Welchen Einfluss hätte der so genannte Brexit, der Austritt der Briten aus der Euro-Zone, für uns als Anleger, sprich auf die Börsen? Haben die Börsianer ein solches Szenario gar schon eingepreist?
Nun, wie Sie im nachfolgenden Pressespiegel lesen werden, sehen die Experten darin kein all zu großes Desaster, sind sich jedoch im Detail nicht ganz über die Konsequenzen für die Aktienmärkte einig.
Zumindest beschäftigt das Thema, das neben der Flüchtlingskrise auch den EU-Gipfel letzte Woche beherrschte, die Wirtschafts- und Finanzredaktionen. Mit den Einschätzungen derFINANZWOCHE, derPlatow-Börseund desParsevalzeichne ich Ihnen einen repräsentativen Querschnitt aus den einschlägigen Börsenpublikationen. Bilden Sie sich Ihre eigene Meinung.
Das meinen die Experten:
FINANZWOCHE
Vom 18. Februar 2016
Brexit als Vorbild für die osteuropäischen EU-Mitglieder
„Wer die Briten genauer kennt (der Herausgeber ging einen Teil seines Lebens in England zur Schule) weiß, dass die Skepsis gegenüber dem Kontinent historisch bedingt ist. Die Engländer orientieren sich stark an Amerika und haben schon immer große Bedenken Richtung Osten – je weiter östllich, um so stärker – gehabt. Nach Meinung des Herausgebers ist es wahrscheinlich, dass die Briten sich in diesem Jahr gegen Brüssel und seine Marktwirtschaftsfeindlichkeit und die damit verbundene Bevormundung (z.B. jetzt Bargeld- Abschaffung oder Einschränkung) entscheiden werden. Von Börsianern weltweit wird ein solches Szenario bzw. eine solche Möglichkeit (,Brexit') schon heute als negativ empfunden bzw. ist einer der vielen Erklärungsgründe für den jüngsten Börsenabsturz in Europa. Das Überraschende dürfte allerdings sein, dass Brüssel keinerlei Gegenmaßnahmen nach einem von Großbritannien bevorzugten EU-Austritt vornehmen dürfte. Die Freihandelszone und die anderen Vorteile dürften genauso bestehen bleiben wie vorher. Die Briten werden lediglich die inzwischen besonders von Deutschland getragenen Nachteile los. Dann dürften auch einige osteuropäische EU-Staaten, die ebenfalls eine zunehmende Abneigung gegen die EU in ihrer jetzigen Form haben sowie keinerlei Begeisterung zeigen, dem Euro beizutreten, ihr Bemühen verstärken, aus der EU auszutreten. Der wahrscheinlich kommende Brexit (und ähnliches in Osteuropa) wird wahrscheinlich keine Gefahr für die europäischen Börsen darstellen, da wirtschaftlich negative Konsequenzen für diese Länder als Folge des Austritts nicht zu erwarten sind.“
Platow-Börse
Vom 24. Februar 2016
Scheidung einer Zweckehe - Britenrabatt und drohende Planwirtschaft
„Die Briten und die EU – es ist eine Hassliebe der besonderen Art. Im Grunde genommen gibt es die Diskussion über einen EU-Austritt des Vereinigten Königreichs, neudeutsch ,Brexit' genannt, bereits seit dem Beitritt des Königreichs vor 43 Jahren. Bisherige Höhepunkte sind die berühmten ,Money Back!'-Forderungen der eisernen Lady Margaret Thatcher und der Dauerstreit um den ,Britenrabatt'. Gut möglich, dass die Zweckehe bald geschieden wird. Seit Samstag steht fest, dass Premierminister David Cameron am 23. Juni das Volk befragen will. Wie dieses Referendum ausgeht, ist völlig offen. Momentan verzerren Ängste über Masseneinwanderung das Bild. Am Wahltag agieren viele Bürger rationaler. Und dass ein Austritt für Großbritannien auch negative ökonomische Folgen hätte, dürfte vielen Briten bewusst sein. Nicht umsonst sind laut einer Bertelsmann-Studie drei Viertel aller britischen Unternehmen gegen den Brexit. Rund 200 Spitzenmanager haben einen offenen Brief für den Verbleib in der EU unterzeichnet. Nicht nur der Finanzplatz London stünde auf dem Spiel, sondern auch viele Handelspartnerschaften mit dem Kontinent und millionenschwere Beihilfen. Aber auch für die restliche EU wäre ein Austritt negativ: Ihr Gewicht in der Welt würde schwinden, Resteuropa ohne die wirtschaftsliberalen Briten wohl noch planwirtschaftlicher werden.“
Der Parseval
Vom 05. Februar 2016
Brexit-Risiko nicht ausreichend in Marktnotierungen eingepreist
„Voraussichtlich bereits am 23. Juni werden die Briten über den Austritt des Landes aus der EU (Brexit) abstimmen. Dabei wird der britische Premierminister David Cameron seinen Landsleuten einen EU-Verbleib empfehlen. Zuletzt hatte er in Verhandlungen mit der EU-Kommission in Brüssel zahlreiche Sonderrechte für Großbritannien vereinbart. Ein Beispiel: Künftig sollen EU-Ausländer für mehrere Jahre vom Bezug von Sozialhilfe ausgeschlossen werden, sofern sie zuvor nicht in Großbritannien gearbeitet haben. Ein Brexit hätte vor allem kurzfristig schwerwiegende Auswirkungen auf die britische Volkswirtschaft und folglich auch auf den dortigen Aktienmarkt. Ferner rechne ich damit, dass das britische Pfund im Falle eines Austritts im Vergleich zum Euro zumindest kurzfristig leiden wird. Wenig hilfreich sind die jüngst veröffentlichten Meinungsumfragen zu diesem Thema. So hat der Meinungsforscher YouGov einen Vorsprung für die Befürworter eines Austritts von 4% ermittelt. Eine im Auftrag der Tageszeitung Daily Mail zeitgleich veröffentlichte Umfrage hingegen deutet auf einen Verbleib Großbritanniens in der EU hin. Tatsache ist in jedem Fall, dass der Kapitalmarkt das Risiko eines Brexits noch nicht eingepreist hat. Unsere Depotstabilisatoren aus Großbritannien, National Grid und Pennon Group, notieren sogar nahe historischen Rekordständen. Zwar tendierte das britische Pfund gegen den Euro zuletzt etwas schwächer. Letztlich ist diese Abwertung allerdings lediglich in den Kontext des internationalen Währungsmarktes eingebettet. So legte der Euro jüngst etwa gegen den Dollar oder chinesischen Yuan ebenfalls zu. Auch die Bewegungen des britischen Leitindex FTSE 250 weisen momentan im europäischen Vergleich noch keine Besonderheiten (Underperformance) auf.“
Wenn ein Volk unberechenbar ist, dann sind es die Briten
Mit diesen Aussichten auf einen möglicherweise bevorstehenden EU-Austritt Großbritanniens wünsche ich Ihnen einfach einen schönen Tag. Die Sonne scheint zumindest bei uns, also kann dieser Tag wirklich ein freundlicher werden. Alles andere wäre reine Spekulation. Auf die Briten bezogen heißt das so viel wie: Wie sie sich am 23. Juni entscheiden werden, das werden wir genau an jenem Donnerstag erfahren.
Denn wenn ein Volk in Sachen Entscheidungen unberechenbar ist, dann sind es diese Inselbewohner. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede. Immerhin habe ich eine Zeit lang in London gelebt. Und ich kann Ihnen sagen, dass wir von „abroad“ einfach anders ticken und wohl nie ganz rausbekommen werden, was in den eigenwilligen Köpfen unserer Nachbarn „oversea“ vor sich geht, in denen noch immer der Geist der großen Kolonialmacht herumspukt. Trotzdem mag ich sie, die Briten, mit ihrem schrägen Humor und ihrem spröden Charme.
Herzliche Grüße
Ihre
Martina Bisdorf
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