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Ausgabe vom 08. September 2015
- A wie Affe, B wie Ball …
oder warum gute Bildung gerade jetzt besonders wichtig ist
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
gestern rückte wieder ein Thema in mein Bewusstsein, bei dem ich mir angesichts der Zahlen verwundert die Augen reibe, welches aber in Hinblick auf die schlimme Flüchtlingskatastrophe vielleicht in Zukunft noch stärker bekämpft werden muss, als es bisher getan wurde.
Denn gestern, am 8. September, war „Weltalphabetisierungstag 2015“, den die Unesco als Kulturorganisation der Vereinten Nationen ausgerufen hat. Einmal im Jahr erinnert dieser Tag daran, dass viele Menschen auf der Welt immer noch nicht oder nur wenig lesen und schreiben können und macht damit auf ein ziemlich wenig beachtetes Massenphänomen aufmerksam.
Jeder siebte Deutsche im Erwerbsalter schreibt und liest so schlecht, dass man ihn als Analphabeten bezeichnen kann
Jetzt denken Sie vielleicht: „Ja, das ist ganz bestimmt in anderen Ländern so. So etwas gibt es in Deutschland nicht mehr.“ Das habe ich auch gedacht. Aber weit gefehlt. Denn selbst hier in Deutschland gibt es laut der „leo.-Level-One-Studie“ der Uni Hamburg bundesweit immer noch 7,5 Millionen „funktionale Analphabeten“ im Erwachsenenalter. Das sind Menschen, die zwar in der Schule waren, aber trotzdem kaum lesen und schreiben können.
Ich finde das ist eine erschreckend hohe Zahl und sicher kein Ruhmesblatt für die Bildungsrepublik Deutschland. Denn die Zahl ist über die Jahre nicht kleiner geworden, beklagt der Bundesverband Alphabetisierung. Man muss sogar davon ausgehen, dass die Zahl ansteigt.
300.000 Deutsche können nicht mal ihren Namen schreiben
„Das ist sicher ein Problem der Ausländer in Deutschland“, höre ich Sie jetzt sagen. Auch hier muss ich Sie leider enttäuschen. Denn immerhin 4,4 Mio. (58%) der funktionalen Analphabeten haben Deutsch als erste Sprache gelernt.
2,3 Mio. Deutsche (4%) können fast gar nicht lesen und schreiben und 300.000 Menschen können nicht mal ihren Namen schreiben. Laut der „leo.“-Studie gehören Betroffene ohne Schulabschluss, in prekärer Beschäftigung und mit einem Alter von über 50 Jahren zu den gefährdeten Risikogruppen am Arbeitsmarkt.
Ja, die Arbeitswelt ist so komplex geworden, dass Menschen, die weder lesen noch schreiben können, kaum eine geeignete Arbeit finden. Doch auch bei Behördengängen, beim Lesen von Fahrplänen und selbst in Restaurants stoßen sie an ihre Grenzen. Und auch wenn 60% der funktionalen Analphabeten erwerbstätig sind, leben sie in der ständigen Angst ertappt zu werden.
Wozu dient der Tag der Alphabetisierung?
Damit soll dieses globale Problem nicht in Vergessenheit geraten: „Lesen und Schreiben zu können, ist Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben. Dies zu erlernen, ist in vielen Regionen der Welt jedoch noch immer ein Privileg. Weltweit können etwa 774 Mio. Menschen nicht lesen und schreiben. Fast zwei Drittel von ihnen sind Frauen und Mädchen.“
Die Politik ist gefordert. Aus Anlass des Weltalphabetisierungstags 2015 stellt Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) eine Kampagne zur „Nationalen Dekade für Alphabetisierung“ vor. Es geht vor allen Dingen um Geld, das in Programme gegen Analphabetismus gesteckt werden soll. Nicht nur in Hinblick auf die Flüchtlingswelle sicher eine gute Sache.
Denn obwohl viele der Flüchtlinge gut ausgebildet sind, wird es auch hier den einen oder anderen Analphabeten geben, der für ein Förderprogramm in Frage kommt.
Weg vom Smartphone hin zum Roman
Und auch für die funktionalen Analphabeten gibt es eine Chance. Denn laut Bundesverband Alphabetisierung kann diesen Menschen einfach geholfen werden, indem sie ihr Mediennutzungsverhalten ändern, weg vom Smartphone hin zum Roman, heißt hier die Devise.
Einfache Formel: Gute Bildung = Wohlstand
Jetzt fragen Sie sich vielleicht, was hat dieses Thema im BÖRSEN-SPIEGELdaily zu suchen? Ich will es Ihnen erklären: Gute Bildung ist die Grundvoraussetzung für Wohlstand. Hervorragend ausgebildeter Nachwuchs ist in einer Gesellschaft wie der unsrigen die kostbarste Ressource.
Und so hoffe ich, dass gerade hinsichtlich der Flüchtlingswelle alles unternommen wird, um die bereits begangenen Fehler, die bisher bei der Einwanderungspolitik gemacht worden sind und die sich bei einem Teil der Zuwanderer auch in der zweiten und dritten Generation noch niederschlagen, nicht wiederholen. Es gibt also viel zu tun.
Denn, wenn jeder siebte Bürger im Erwerbsalter kaum lesen und schreiben kann, hat die „Bildungsrepublik Deutschland“ ein Problem.
Bildung ist der Schlüssel zur Zukunft, für Wohlstand, Gesundheit und gutes Zusammenleben.
Gute Bildung ist wertvoll. Das gilt aber auch aus banal wirtschaftlicher Sicht. Ob man es mag oder nicht: Gute Bildung ist ein, wenn nicht gar der entscheidende Einflussfaktor für den wirtschaftlichen Wohlstand von Individiuum und Gesellschaft gleichermaßen.
Neuere empirische Studien belegen, dass die Bildungsleistungen der Bevölkerung, wie sie etwa in internationalen Schülervergleichstests gemessen werden, der wohl wichtigste langfristige Bestimmungsfaktor des wirtschaftlichen Wachstums und damit des langfristigen Wohlstands einer Gesellschaft sind.
Darauf aufbauend hat eine Studie des ifo-Instituts berechnet, dass sich die volkswirtschaftlichen Folgekosten, die sich dadurch ergeben, dass in Deutschland jeder fünfte 15-Jährige nicht über das Grundschulniveau hinaus kommt, über den Lebenszeitraum eines heute geborenen Kindes auf 2,8 Billionen Euro belaufen.
Mittelmäßigkeit der deutschen Schulen sorgt seit den 1970er Jahren für schwächeres Wachstum
Eine Studie der Deutschen Bank hat ergeben, dass die Mittelmäßigkeit an deutschen Schulen mitverantwortlich dafür gewesen sei, dass das Wachstum hierzulande seit den 1970-er Jahren immer schwächer wurde.
Ein Land, das bei der Lesekompetenz seiner Kinder um nur 1% besser abschneidet, als der internationale Durchschnitt, erreicht eine um 2,5% höhere Arbeitsproduktivität, hat die OECD ermittelt. Und gerade eine höhere Produktivität, also mehr Leistung je Arbeitsstunde, ist die Basis für steigenden Wohlstand.
Dabei wirkt Bildung auch indirekt positiv: Gut ausgebildete Menschen sind meist zufriedener mit ihrer Arbeit. Sie sind weniger krank, sterben später und nehmen aktiver am politischen und gesellschaftlichen Leben teil. Sie verdienen mehr – und sie sind seltener arbeitslos.
Investitionen in die Bildung sind Investitionen in die Zukunft eines Landes
Deshalb gelten Investitionen in die Bildung als Investitionen in die Zukunft eines Landes. Eine gute Ausbildung eröffnet Möglichkeiten für gut bezahlte Jobs. Hohe Gehälter schaffen eine hohe Kaufkraft in der Bevölkerung. Und diese wiederum kurbelt die Wirtschaft an, was sich positiv auf den Wohlstand einer Nation auswirkt, die dann wieder mehr in ihre Bildung investieren kann. Ein Kreislauf, der Bildung eigentlich unbezahlbar macht.
Es geht also gar nicht darum, ob Deutschland heute genug Geld für Bildung hat. Es geht darum, wie viel unser Land morgen verdienen will.
In diesem Sinne grüße ich Sie herzlich und kritisch zur Wochenmitte,
Ihre
Martina Bisdorf
PS: Lebenslanges Lernen sollte bei jedem von uns ganz oben auf der Agenda stehen. Auch Geldanlage und Börse kann man lernen. Daher kann ich Sie nur dazu ermuntern, einmal unsere Börsenpublikation BÖRSEN-SPIEGEL, 100%-DEPOT und Smart Money Investor zu testen.
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