Börse, Wirtschaft, Lifestyle - Was Anleger & Börsenprofis bewegt
Ausgabe vom 23. Juli 2015
- Pressespiegel: Neue Chancen in Teheran
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
nach dem Wiener Abkommen wird der Iran zum interessanten Wirtschaftspartner, allerdings unter der Bedingung, dass die Politik das Spiel nicht verdirbt. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel stattete Teheran am Montag als erstes einen Besuch ab. Es gab Versprechungen, Bemühungen und - für meine Begriffe etwas zu leise - die Mahnung, man müsse natürlich auch über Menschenrechte reden. Die werden in der islamischen Republik teilweise mit Füßen getreten. Man denke nur an die Stellung der Frau oder den Schutz religiöser Minderheiten.
Dialog über Menschenrechte – Nötig, aber bitte mit Fingerspitzengefühl…
Immerhin will der Vizekanzler einen Dialog über Menschenrechte führen: „Als Freunde wollen wir mit ihnen auch darüber reden.“ Klingt zaghaft diplomatisch, ist aber von Bedeutung, denn durch Individualität und die Entwicklung persönlicher Freiheiten kann auch die Wirtschaft besser gedeihen. Es wird noch viel Verhandlungsgeschick aber auch Durchsetzungsvermögen nötig sein.
Bis zuletzt wurde für die Beilegung des jahrelangen Atomstreits, der mit einschneidenden Sanktionen verbunden war, zäh verhandelt. Zumindest hatte es für die Beobachter diesen Anschein. Die gegenseitigen Ressentiments sind groß und die Verhandlungspartner müssen die Ergebnisse auch in der Heimat verkaufen können. Aber eine Lösung musste her, um endlich die leidigen Sanktionen aufheben und wieder in Handlungsbeziehungen treten zu können.
Anschluss an globale Finanzströme von entscheidender Bedeutung für die Öl-Nation
Vor allem der Ausschluss von den globalen Finanzströmen hat das Schwellenland Iran seit 2010 stark zurückgeworfen, daneben das internationale Embargo gegen die Lieferung von Ausrüstungen und Ersatzteilen für die Öl- und Gasförderung. Das iranische Rohöl, nach wie vor das einzige nennenswerte Exportgut, drohte mittelfristig zu versiegen, weil marode Förderanlagen auf vielen Ölfeldern versagen und die Erschließung neuer Felder unmöglich geworden ist. All das soll sich nun ändern.
Inwieweit nicht nur Teheran, sondern auch Berlin, Paris und Washington vom Ende des Atomstreits und der Wiederaufnahme der Wirtschaftsbeziehungen profitieren, dazu haben sich Experten aus renommierten Finanz- und Börsenpublikationen Gedanken gemacht. Lesen Sie deren Einschätzungen im unten stehenden Pressespiegel.
Das meinen die Experten:
WirtschaftsWoche
Vom 17. Juli 2015
Geldhäuser müssen Arbeit vor Pipelines aufnehmen
„,Da sind riesige Investitionen fällig‘, sagt Michael Tockuss, Geschäftsführer des Vereins Deutsch-Iranische Handelskammer in Hamburg, ,aber die müssen finanziert werden, und das wird schwierig, solange die Banken in Teheran nicht wieder normal arbeiten.‘ Vor den Pipelines müssten also die Geldhäuser zu arbeiten beginnen, und das kann dauern: Den iranischen Banken fehlen nach Jahren der Isolierung Kapital und Know-how, und ausländische Banken müssen sich erst wieder nach Teheran trauen. Dass erst vor ein paar Tagen eine große Menschenmasse mit dem altbewährten Schlachtruf ,Tod Amerika!‘ durch die Straßen zog, wirkt da kontraproduktiv. Dass Präsident Hassan Rohani persönlich an der Spitze des Zuges marschierte, noch mehr. In Wirklichkeit geht es ihm vor allem um gute Geschäfte mit Amerika und den Europäern. Die werden nicht mit den schwer finanzierbaren Investitionen in die Ölförderung beginnen, sondern mit Lieferung von Konsumgütern für die Bevölkerung und Investitionsgütern für die innovationshungrigen kleinen und mittleren Industrieunternehmen. Hier dürften deutsche Mittelständler schon bald mit Aufträgen rechnen, hofft Iran-Lobbyist Tockuss. Das kann aber nur funktionieren, wenn Präsident Rohani der Welt die Angst vor Land und Regime nimmt. Er weiß das und hat dafür auch ein Instrument gefunden: seinen englischsprachigen Twitter-Account. Dort schrieb er wenige Stunden nach dem Wiener Vertragsabschluss: ,Heute beginnt ein neues Kapitel der Arbeit für Wachstum und Entwicklung unseres geliebten Iran - ein Tag, an dem unsere Jugend wieder von einer helleren Zukunft träumen kann.“
EURO am Sonntag
Vom 20. Juli 2015
Deutsche Konzerne hoffen auf Milliardengeschäfte
„Nach der grundsätzlichen Einigung im Atomstreit mit dem Iran rechnen deutsche Unternehmen mit einem deutlichen Wachstum des bilateralen Handels. Als Haupthindernisse gelten derzeit der nur schrittweise Abbau der Sanktionen, aber auch Schwierigkeiten bei der Finanzierung des Iran-Geschäfts. ,Schon in zwei Jahren könnten sich die Ausfuhren auf gut 5 Mrd. Euro belaufen und damit wieder den Wert von 2005 erreichen‘, erläutert DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. Der Iran habe einen gewaltigen Nachholbedarf. ,Es gibt eine potenziell große Nachfrage nach deutschen Produkten, etwa bei der Erdöl- und Erdgasexploration, Chemie, bei Konsumgütern, Textilien und Nahrungsmitteln.‘ Darüber hinaus sei der Iran wegen der vielen hochqualifizierten Arbeitnehmer für deutsche Unternehmen auch als Fertigungsstandort interessant. Der Maschinenbauverband VDMA begrüßte die Einigung, warnte aber vor Schwierigkeiten bei der konkreten Umsetzung der Vereinbarungen. Auch für die deutschen Autobauer könnte sich mit der Einigung ein zusätzlicher großer Absatzmarkt mit fast 80 Mio. Menschen öffnen. Während sich Konzerne wie VW oder Daimler offiziell noch bedeckt halten, hat der französische Hersteller Peugeot bereits eine komplette Produktion von Autos im Iran angekündigt.“
Zürcher Trend
Vom 21. Juli 2015
Öl und Dollar regieren die Welt
„Der Iran wird wieder in die Völkergemeinschaft eingegliedert zumindest wird die Tür dafür geöffnet. Er ist einer der größten Erdölproduzenten mit den viertgrößten Erdölreserven. Teheran kündigte eine Verdoppelung der Erdölexporte an, womit man auf Platz vier nach den USA, Saudi-Arabien und Russland landen würde. Entsprechend rutschte der Ölpreis auf das alte Niveau des Frühjahrs in die Preisspanne 50/55 Dollar je Barrel ab. Gleichzeitig legt der Dollar gegen alle anderen Währungen erkennbar zu. Das schafft eine neue Perspektive für so gut wie alle ölimportierenden Länder der Welt. Am Beispiel des Iran, soweit schon Zahlen als Schätzung vorliegen, wird der Investitionsstau des Landes auf weit über 100 Mrd. Dollar veranschlagt. Alles ist betroffen, von der Straße über die Schiene bis zu Maschinen aller Art und vielfachen anspruchsvollen Konsumgütern. Hauptprofiteur sind die Europäer, speziell die Deutschen. Sie sind seit über 100 Jahren die wichtigsten Lieferanten für diese Sektoren. Am wichtigsten: Sie benötigen dafür keinen Kredit, sondern nur ihre eigenen Öl-Einnahmen. Der Dollar bewegt sich in diesem Umfeld als relativ starke Währung. Er zeigt die Tendenz gegen Euro zu einer Quote zwischen 1:1 bis 1:1,05. Bestätigt sich dies in den nächsten drei bis fünf Wochen, so entsteht neben dem Ölvorteil für alle Europäer ein Währungsvorteil. Öl und Dollar werden für die zweite Jahreshälfte 2015 die entscheidenden Stützen für die gesamte Euro-Konjunktur.“
Vielversprechende Aussichten
Es besteht auf der einen Seite nach Beendigung der Sanktionen enormer Nachholbedarf von Seiten des Iran. Doch um die Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen wirklich zur Blüte zu bringen, wird der selbsternannte Gottesstaat erst einmal das Vertrauen der Welt gewinnen müssen. Die Tür ist geöffnet, aber es schickt sich an, ein langer Weg zu werden, denn die Investitionsbereitschaft westlicher Unternehmen hängt nicht zuletzt von menschlichen Aspekten ab.
Mit diesen Eindrücken wünsche ich Ihnen einen schönen Tag.
Herzliche Grüße
Ihre
Martina Bisdorf
PS: Vor allem in den Bereichen Pharmazie, Maschinenbau und chemische Erzeugnisse sieht die Geschäftsführerin für Internationales der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau, Birgit Stodtko, Potenzial durch die Wiederaufnahme der Handelsbeziehungen mit dem Iran. Wegen einer mehrmonatigen Lockerung der internationalen Strafmaßnahmen habe sich der Wert der Ausfuhren aus Sachsen-Anhalt in den Iran bereits von 17,5 Mio. Euro im Jahr 2013 auf 40,1 Mio. Euro mehr als verdoppelt. Potenzial gibt es also für viele Branchen, es muss nur geschickt eingefädelt werden.
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