Börse, Wirtschaft, Lifestyle - Was Anleger & Börsenprofis bewegt
Ausgabe vom 16. Juli 2015
- Pressespiegel: Griechenlands (vor)letzter Sirtaki? – Was wird im restlichen Südeuropa getanzt?
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
gestern habe ich Ihnen über die traumhaften Seiten Südeuropas berichtet. Vielleicht haben Sie sogar ein bisschen Urlaubsstimmung bekommen. Doch abgesehen vom Dauerbrenner Griechenland, der auch am heutigen Tag an Dramatik kaum zu überbieten ist, gibt es natürlich noch andere Probleme in Europas Südhälfte. Nicht wenige Experten befürchten ein Überschwappen der „Hellas-Masche“ auf andere europäische Nationen, die ebenfalls um ihre Existenz kämpfen müssen.
„Spexit, Frexit, Brexit - Was kommt als nächstes?“
So titelte mein Kollege Dieter Wendt in seiner vorletzten Ausgabe des 100%-DEPOT. Er schrieb darin: „Die größte Gefahr, die in dem Nein der Griechen liegt, ist der Nachahmungseffekt. Sollte Tsipras mit seiner Erpressungstaktik durchkommen und den Euro-Partnern Zugeständnisse oder gar einen Schuldenschnitt abringen, wäre die Büchse der Pandora endgültig geöffnet.“
Mit dieser Meinung, die auch nach der knappen Mehrheit für Alexis Tsipras in der vergangenen Nacht nichts an Aktualität eingebüßt hat, steht Dieter Wendt keineswegs allein da. Viele Börsenexperten teilen sie. Denn nun müssen die Reformen in Griechenland ja erst einmal durchgesetzt werden. Die Regierung steht auf denkbar dünnem Eis und die Proteste in der Bevölkerung haben deutlich gezeigt, dass die Realisierung der Sparpläne keineswegs einfach werden dürfte. Die Situation bleibt weiter kritisch und keiner kann jetzt sagen, wie das Spiel am Ende ausgeht.
Wie steht es auf der iberischen Halbinsel und in Rom?
So haben sich etliche Börsenpublikationen und Finanzmagazine in den letzten Wochen teils sehr besorgt, aber dennoch mit nüchtern analytischem Blick der Thematik „Restliches Südeuropa“ gewidmet. Dabei sind vor allem die Kandidaten Portugal, Spanien und Italien ins Visier der Beobachter geraten.
Ich habe drei aussagekräftige Artikel für Sie herausgesucht. Lesen Sie hier, was die Experten zur wirtschaftlichen Lage dieser sehr beliebten Urlaubsländer zu sagen haben.
Das meinen die Experten:
Focus Money
Vom 08. Juli 2015
Spanien: Robuster Stier auf Erholungskurs
„Die Verschuldung liegt bei gut 100%, zwar kein Top-Wert, aber Griechen, Italiener und Nachbar Portugal können davon nur träumen. Die Rendite für zehnjährige Anleihen stieg zwischenzeitlich von 2,15% auf 2,72%. Ein sportlicher Sprung, aber kein Grund zur Panik. Vergangene Woche besorgte sich Spanien ohne Mühe 4,2 frische Mrd. Euro von Privatinvestoren – für gerade mal 2,26%. Generell erscheint der spanische Stier robust. Die Analysten von Unicredit sprechen von beeindruckendem Wachstum: In diesem Jahr soll das BIP um 3,2% steigen. Das macht sich im Geldbeutel von Basken und Madrilenen bemerkbar: Die Einkommen steigen – und das Verbrauchervertrauen erreicht den höchsten Stand seit 2000. Auch die Wirtschaft fasst Vertrauen, die Einkaufsmanagerindizes klettern nach oben. Aber es müssen noch viele Meter erklommen werden, das Defizit schwächt sich zwar ab, doch noch steht ein dickes Minus davor. Aber die politische Lage könnte den Stier die Hörner kosten, bereits im Mai hatten Regionalwahlen Anleger verschreckt. Nach einem Linksruck stieg der Renditeaufschlag zehnjähriger Anleihen gegenüber Bundesanleihen auf den höchsten Wert seit Sommer 2014. Für die Champions League in Europa fehlt noch einiges. Aber die Zahlen sprechen im Dreiervergleich für die Spanier – die Wirtschaft wächst kräftig, die Einkommen steigen. Aber nicht zu früh freuen: Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor enorm hoch – und es droht bei den Parlamentswahlen ein Linksruck und ein Ende des Sparkurses.“
Der Parseval
Vom 07. Juli 2015
Portugal: Bemüht, aber potenziell vom Domino-Effekt gefährdet
„Es besteht ein gewisses Restrisiko, dass eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands in Südeuropa einen Dominoeffekt auslöst. Potenziell gefährdet ist in erster Linie Portugal. Seine Wirtschaftskraft entspricht auf den ersten Blick in etwa der von Griechenland. Hier wie dort verschlingt das staatliche Rentensystem große Teile der nationalen Wertschöpfung. Nicht überraschend verloren daher zuletzt portugiesische Staatsanleihen an Wert, nachdem sich ein Scheitern der Griechenland-Verhandlungen abzeichnete. Einige Investoren sorgen sich also wieder um die Bonität des Landes. Die Regierung in Lissabon hat diese Sorgen verstanden und wird deshalb in den kommenden Monaten die Tilgung einer IWF-Kredittranche in Höhe von knapp 2 Mrd. Euro vorziehen. Bereits zuvor hatte sich das Land am Rentenmarkt mit neuen Mitteln eingedeckt, als das Zinsniveau in der Euro-Zone allgemein nahe null war. Nach Regierungsangaben verfügt das Land gegenwärtig über taktische Reserven in Höhe von 17 Mrd. Euro. Damit könnte das südeuropäische Land knapp ein Vierteljahr überleben – und zwar ohne jede Steuereinnahme. Die Botschaft der portugiesischen Regierung an den Kapitalmarkt ist klar: Wir sind nicht Griechenland. Auch anderweitig unterscheidet sich Portugal wohltuend von Griechenland. So ist die portugiesische Volkswirtschaft im abgelaufenen Quartal um 1,4 % gewachsen. Insgesamt expandiert Portugal damit nunmehr seit sechs Quartalen in Folge.“
Focus Money
Vom 08. Juli 2015
Italien: Richtige Richtung, aber noch kein Dolce Vita
„Ende 2014 verabschiedete Premier Matteo Renzi bereits ein Stabilitätsgesetz. Die Ministerien sollen ihre Ausgaben jährlich um 3% senken. Zudem sollen Staatsfirmen privatisiert und öffentliche Immobilien verkauft werden. Das Sparen würgt die Konjunktur aber nicht ab, im Gesetz sind auch Investitionen und Steuerentlastungen für Geringverdiener enthalten. ,Das Wachstum ist zurück‘, schreiben die Analysten von Unicredit. Die Reformen von Renzi scheinen also zu greifen, durch den ,Jobs Act‘ hat er zusätzlich den Arbeitsmarkt flexibilisiert, beispielsweise den Kündigungsschutz gelockert. Die Einkaufsmanagerindizes steigen, im ersten Quartal wuchs die Wirtschaft so stark wie seit vier Jahren nicht mehr, aber dann eben doch nur um 0,3%. Egal, den Konsum schiebt es an, auch mehr Autos werden zugelassen, und das trägt zur Erholung bei. Die Italiener profitieren auch vom schwachen Euro und den Exporten. Aber Vorsicht bei zu viel Euphorie für die italienische Exportwirtschaft: Die Lohnstückkosten steigen in Italien seit Jahren, das dürfte die Wettbewerbsfähigkeit nicht gerade verbessern. Die Wirtschaft wächst zwar in diesem Jahr endlich, aber es braucht noch mehr Impulse. Der Weg stimmt, aber noch kein Grund für Dolce Vita.“
Spanien ist der Musterschüler
Im Dreiervergleich schneidet Spanien eindeutig am besten ab. Das Land hat sich auch enorm angestrengt, die verlangten Ziele zu erreichen. Portugal und Italien bleiben Wackelkandidaten, wenn auch zu erkennen ist, dass hier die richtige Richtung eingeschlagen wurde. Bleibt wieder einmal abzuwarten, wie konsequent Griechenland seinen Weg verfolgen wird – sofern einmal eine echte Richtung zu erkennen ist…
Mit diesen Eindrücken aus dem (nicht immer) sonnigen Süden wünsche ich Ihnen einen schönen Tag.
Herzliche Grüße
Ihre
Martina Bisdorf
PS: Der mögliche Bruch durch Europa hat seit gestern eine neue Facette: Spaniens Premierminister Mariano Rajoy hat völlig überraschend angekündigt, den EU-Deal mit Griechenland im Parlament zur Abstimmung zu bringen. Der Grund hierfür ist, dass in Spanien die Stimmung gekippt ist und der Deal als deutsches Diktat angesehen wird. Damit könnte Angela Merkel einen wichtigen Verbündeten verlieren.
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