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Ausgabe vom 17. September 2014
- „Scoxit“ – Die Gefahren des möglichen Scottish Exit aus Expertensicht
- Zitat der Woche
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„Scoxit“ – Die Gefahren des möglichen Scottish Exit aus Expertensicht
von Martina Bisdorf
Redaktion BÖRSEN-SPIEGEL Like Follow
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Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Schottland hat die Wahl – morgen werden die als „äußerst sparsam“ bekannten und oft dafür belächelten Träger des karierten Rocks über die Zukunft ihres Landes entscheiden. Was wird „unter dem Kilt“ herauskommen? Eine Frage, die sich die Menschen „abroad“ seit jeher stellen. Wird sich das eigensinnige Volk gegen die 307 Jahre währende Zugehörigkeit zum United Kingdom entscheiden? Und wenn ja, welche Auswirkungen wird das auf sie selbst, die Engländer und Europas Festland haben?
Zur ersten Frage – Wie unabhängig fühlen sich die Schotten?
Laut jüngsten Umfragen ist das Land im Norden des britischen Königreichs eindeutig zwiegespalten: Gegner und Befürworter der Eigenständigkeit liegen in etwa gleich auf. Es wird also spannend. Wenn auch die meisten Experten der Meinung sind, dass letztendlich doch noch die „Vernunft“ entscheide und die Schotten mit einer knappen Mehrheit für den Verbleib in der Union votieren würden.
Denn eine Abspaltung würde eine Reihe gravierender Probleme mit sich bringen, angefangen von der Frage nach der neuen Währung - für den Euro sind die Schotten wohl kaum reif – bis hin zu den zu befürchteten Auswirkungen auf die Börse, die generell auf Unsicherheiten negativ reagiert. Und geopolitische Unsicherheiten gibt es augenblicklich bereits genug.
Zu Frage zwei – Was bedeutet die schottische Abspaltung ?
Was man vorab auf alle Fälle sagen kann ist, dass ein Verbleib im Vereinigten Königreich insbesondere auch für die deutsche Wirtschaft und das Bankenwesen die eindeutig bessere Lösung wäre. Denn gerade unsere Banken sind stark in Großbritannien involviert, das durch die Abspaltung wiederum in die prekäre Lage käme, schwerlich an Auslandskredite heranzukommen, woraus im „worst case“ ein wirtschaflicher Kollaps auf der Insel drohen könnte. Denn die schottischen Untertanen haben bereits angedroht, keine britischen Schulden mit zu übernehmen.
Um die verheerenden Folgen eines Alleingangs für die schottische ebenso wie die britische und gesamteuropäische Wirtschaft einzuschätzen, habe ich für Sie die wichtigsten Expertenmeinungen zu dem Thema gesammelt:
Welche Währung hätte ein unabhängiges Schottland?
Dazu hat sich sehr anschaulich der Focus im Wirtschaftsteil seiner Online-Seite geäußert:
„Die Frage der künftigen Währung ist eine der kritischsten. Viel hängt von ihr ab: Ziehen Investoren Geld aus Schottland ab? Plündern Anleger ihre Konten? Werden Altkredite unbezahlbar? Die Unsicherheit zeigt sich auch am Kurs des britischen Pfunds: Er schwankte zuletzt heftig. Viele Separatisten würden am liebsten das Pfund behalten - in einer Währungsunion mit Großbritannien. Eine neue schottische Notenbank würde dann mit der Bank of England geldpolitisch kooperieren. In London will die Politik davon aber nichts wissen. ‚Alle großen britischen Parteien haben eine Währungsunion abgelehnt‘, betont Ökonomin Katrin Löhken von der Privatbank Sal. Oppenheim. Ohne haushaltspolitische Koordinierung und eine Bankenunion kann ein gemeinsamer Währungsraum aus Sicht Londons nicht funktionieren.“
Fazit: Dieser wesentliche Faktor scheint noch völlig ungeklärt. Vielleicht hätten sich die Befürworter der Separation darüber vorher doch konkreter Gedanken machen müssen.
„Wenn Schottland wählt, werden Tränen fließen…“
… so titelt ein interessanter Beitrag aus dem Blog „Finanzmarktgedanken“ von Der-konservative-anleger. Interessant ist der nachfolgende Kommentar vor allem zum Verhalten der britischen Konservativen, für die der Verlust Schottlands in vielerlei Hinsicht einer Katastrophe gleichkäme: „Noch klammern sich die Tories mental an den Ausgang des Unabhängigkeitsreferendums in Kanada (1995). Damals waren die Separatisten auch knapp am Wählervotum gescheitert und das auf den letzten Metern. Doch die Situation heute könnte eine andere sein, denn viele Schotten sind EU-freundlich und wollen in der EU bleiben. Da aber die bornierten Tories im Jahr 2017 über einen Austritt aus der EU abstimmen wollen, könnten jetzt viele Schotten eher zu einer Unabhängigkeit tendieren, um so dem möglichen Ausstieg zu entgehen. Das Problem ist nur, dass die Schotten im Falle einer Unabhängigkeit nicht sofort mit einer Aufnahme in die EU rechnen könnten, denn dazu sind umfangreiche Reformen und Fristen nötig. Und den Euro können die Schotten sowieso vorerst vergessen.“
Schottland - Präzedenzfall für weitere Alleingänge?
In EURO am Sonntag wurde der mögliche Alleingang der Schotten wie folgt kommentiert:
„Gewinnen die Befürworter, dann werden wir erstmals nach der Separation der Tschechoslowakei im Jahr 1992 Zeuge eines Scheidungsverfahrens, bei dem das Vermögen unter den Eheleuten aufgeteilt und die künftigen gegenseitigen Rechte und Pflichten bestimmt werden. Insbesondere geht es auch um das Verhältnis zur übrigen Verwandtschaft - hier also zum Beispiel zur Nato und zur EU. Gehören die Schotten nach wie vor dazu oder müssen sie sich um eine (Neu-)Aufnahme bewerben - so sie denn gewillt sind, Teile der gerade London abgetrotzten Souveränität an Brüssel abzugeben? Und was wird aus anderen Regionen in Europa, die nach Unabhängigkeit streben - insbesondere in Spanien, Italien und Belgien? Hat sich die EU-Kommission da neutral zu verhalten oder muss sie sich für den Bestand der bestehenden Staaten stark machen? Und wofür ist ‚Brüssel‘ eigentlich zuständig?“
In diesem Artikel kommt ganz klar die Sorge heraus, die viele Wirtschaftsexperten und Börsianer teilen, nämlich dass eine mögliche schottische Abspaltung der Vorreiter für weitere Unabhängigkeitsbestrebungen in Europa sein könnte. Die Angst, die dahinter steht: Ein Zerfall in Europa, der die ohnehin gelähmte Konjunktur zusätzlich schwächen würde. Denn die Krisenherde rund um den Globus gefährden die europäische Wirtschaft schon zur Genüge.
Immerhin fallen schon seit Wochen nahezu alle ökonomischen Daten schlechter aus als erwartet. Deutschlands Bruttoinlandsprodukt ist im zweiten Quartal um 0,2% geschrumpft, ebenso Italiens Wirtschaftsleistung. In Frankreich herrscht Stagnation. Das Konjunkturbarometer von Sentix, das die Stimmung unter 3.500 Anlegern misst, machte jüngst einen gewaltigen Satz nach unten - von plus 12,5 auf minus 9,8 Punkte.
Es gibt schon genug Krisenherde, die die europäische Wirtschaft schwächen
Da ist die Gewalt im Nahen Osten, vor allem der Vormarsch der Terrorbewegung Islamischer Staat in Syrien und im Irak. Die wirtschaftlichen Auswirkungen dadurch auf Europa sind bislang marginal. Der Ölpreis hat auf die Eskalation kaum reagiert. Die Umsätze deutscher Unternehmen in der Region sind gering. Auch der Chemiekonzern BASF, der über seine Tochtergesellschaft Wintershall in Libyen Öl fördert, kann die Produktionsausfälle bislang verkraften.
Weitaus konkreter für Europas Wirtschaft sind der Ukraine-Konflikt und die damit verbundenen Sanktionen westlicher Staaten gegen Russland. Zwar werden die ihre volle Wirkung erst in den kommenden Monaten entfalten, auf die Stimmung in den deutschen Chefetagen aber drücken sie bereits jetzt, wie der viermalige Rückgang des Ifo-Geschäftsklimaindex zeigt. Vor diesem Hintergrund erscheint selbst die nach unten korrigierte Wachstumsprognose der EZB von 0,9% für dieses Jahr optimistisch.
Wait and see…
„In any case“, am Freitagmorgen wissen wir mehr zum Thema, ob dann Tränen fließen oder nicht und wie die Börse diese Woche aus dem Handel gehen wird. Sicher ist nur eins: Gerade in unsicheren Zeiten heißt es Abwarten und Tee trinken. Das werden sich auch die Engländer und Schotten nicht nehmen lassen.
Es grüßt Sie herzlich und kritisch zur Wochenmitte,
Ihre
Martina Bisdorf
PS: Auch die WirtschaftsWoche sieht die Gefahr für weitere Unabhängigkeitsbestrebungen in Europa nach dem morgigen Votum nicht gebannt, selbst wenn die Schotten sich für den Verbleib in Großbritannien aussprechen sollten, „wird die Debatte über Unabhängigkeit weitergehen. Auch anderswo in Europa.“
Zitat der Woche
„Die Schotten haben die Chance, am Freitag am ersten Tag eines besseren Landes aufzuwachen. Es geht darum, die Zukunft eures Landes in eure Hände zu nehmen. Lasst euch diese Möglichkeit nicht durch die Lappen gehen. Lasst euch nicht erzählen, wir könnten das nicht schaffen.“
Alex Salmond, Erster Minister von Schottland
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