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Ausgabe vom 30. Juli 2014
- Ist die Weltwirtschaft im Umbruch?
– Wie stark beeinflussen uns Krisen und Sanktionen?
- Zitat der Woche
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Ist die Weltwirtschaft im Umbruch?
– Wie stark beeinflussen uns Krisen und Sanktionen?
von Martina Bisdorf
Redaktion BÖRSEN-SPIEGEL Like Follow
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Liebe Leserinnen, liebe Leser,
gestern wurden sie von den Botschaftern der 28 EU-Mitgliedsstaaten beschlossen, bis Donnerstag sollen sie von den Regierungschefs abgesegnet werden und dann in Kraft treten: Die verschärften Sanktionen gegen Russland. EU-Ratspräsident Herman van Rompuy betonte dabei ausdrücklich, dass es sich weiterhin um eine Warnung in Richtung Moskau handele, die pro-russische Separatisten-Bewegung in der Ukraine nicht zu unterstützen, und dass weiterhin diplomatische Lösungen favorisiert seien.
Am Abend zog sofort US-Präsident Barrack Obama nach: Auch die mächtigste Nation der Welt (?) will ihren Kurs gegen Moskau deutlich verschärfen. Betroffen sind in dieser Stufe der Sanktionen vor allem der russische Finanzsektor sowie die Energie- und Rüstungsindustrie. Das sind harte Einschnitte, aber nicht nur für Russland….
Wirtschaftssanktionen gegen Russland durchaus zweischneidig
Laut Aussage von Marcel Fratzscher, dem Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, werde Russland vor allem durch die geplanten Finanzsanktionen hart getroffen. Könnten sich die russischen Banken kein Kapital mehr aus Europa beschaffen, so Fratzscher weiter, sei eine Finanzkrise rund um den Kreml nicht unwahrscheinlich.
Auch die Handelsbeziehungen mit Russland seien für beide Parteien nicht zu unterschätzen, betrage das Handelsvolumen mit russischen Unternehmen immerhin knapp 80 Mrd. Euro jährlich. Die deutschen Banken zeigen sich bis dato zurückhaltend mit ihren Aussagen. Sie haben ca. 17 Mrd. Euro in Russland verliehen. Damit sind sie aber immer noch weniger engagiert als die französischen (ca. 38 Mrd. Euro) und italienischen (ca. 22 Mrd. Euro) Geldinstitute.
Wer darf noch liefern?
Wirtschaftsexperten warnen vor den Auswirkungen der Sanktionen auf die europäische und insbesondere die deutsche Wirtschaft. De facto seien schon eine ganze Weile die Auswirkungen der drohenden Sanktionen im heimischen Markt zu spüren. So seien gerade bei mittelständischen Betrieben, etwa im Bereich der Sicherheitstechnik, bereits Auftragsrückgänge mit russischen Handelspartnern zu verzeichnen.
Es bestehe auf russischer Seite eine hohe Unsicherheit, dass die deutschen Vertragspartner beim Einsetzten der Sanktionen ihre Lieferungen nicht einhalten könnten. Dabei ist die Reaktion der meisten deutschen Unternehmer moralisch umso „löblicher“, gilt doch in Unternehmerkreisen - zumindest nach außen hin - der Tenor, man wolle „keine Umsätze um jeden Preis“ machen und habe Verständnis dafür, dass Putin notfalls auch mit wirtschaftlichen Einbußen Einhalt geboten werden müsse.
Die Sorge wächst – Trotz hoher unternehmerischer Moral
Bisher kam die deutsche Wirtschaft in der Ukraine-Krise noch glimpflich davon. Doch laut Aussagen des Finanzmagazins WirtschaftsWoche spitzt sich die Lage vor allem auf dem Energie- und Logistiksektor zu. Wir beziehen immerhin rund 45% unseres Erdgases aus Russland, für Gesamt-Europa liefert der östliche Nachbar rund 40%.
Doch das ist es bei Weitem nicht allein: Der Hauptgeschäftsführer des Außenhandelsverbandes BGA, Gerhard Handke, stellte fest, dass die Instabilität in Osteuropa die deutsche Wirtschaft auch ohne weitreichende Sanktionen treffen würde: „10 bis 14% Rückgang bei den Exporten nach Russland sind 2014 möglich.“
Bewertung der Aussichten gespalten und branchenabhängig
Es gibt einige wenige Unternehmen, die immer noch hoffen, dass die Lage sich entspannen könne. Dazu zählte bislang der DAX-Konzern Henkel. Der Düsseldorfer Mischkonzern, den jeder aus dem Haushalt kennt, legte im ersten Quartal dieses Jahres beim Umsatz in Russland (rund 1 Mrd. Euro) sogar noch zu. Henkel-Chef Kasper Rorstedt sehe nach eigenen Angaben weiterhin eine große Zukunft in Russland. (Diese Aussage hat er vor dem gestrigen Beschluss der Wirtschaftssanktionen gemacht.)
Weniger rosig sieht die Flugzeugbranche die Zukunft. Die europäischen Airlines befinden sich durch die verstärkte Konkurrenz aus den Golf-Staaten ohnehin schon in Turbulenzen. Treffen doch bekanntermaßen Unruhen, Terror und Sanktionen die Fluglinien meist schneller und oft härter als andere Branchen.
Mit eher bangen Gefühlen beurteilt auch Fraport-Chef Stefan Schulte die Lage. Immerhin hat Europas größter Flughafenbetreiber letztes Jahr 135 Mio. Euro in ein neues Terminal am Flughafen von St. Petersburg gesteckt. Ein Insider äußerte sich dazu folgendermaßen: „Wenn das Wachstum nachlässt und vor allem weniger Geschäftsreisende und Touristen fliegen, könnte das Investment zum Zuschussgeschäft werden.“
Es sind nicht nur die Sanktionen, die verunsichern – Die Welt brennt
Fakt ist: Die Welt sowie derzeit auch die Märkte und Börsen sind verunsichert. Und dazu gibt es auch allen Grund. Da gibt es nichts schön zu reden. Die Ukraine-Krise ist bei Weitem nicht der einzige Konfliktherd, nur für uns der nächste. Die Krisenländer erstrecken sich von Ost-Europa bis Nordafrika. Da gibt es Syrien und den Irak, die unter dem Ansturm radikaler islamistischer Terroristen endgültig zu zerbrechen drohen.
In Afghanistan ziehen die westlichen Truppen ab, doch Taliban und al-Qaida bleiben. Der „superreiche Zwerg“ Katar am Golf sponsert den Islamismus weltweit. Libysche Warlords spalten ihr Land im Zuge heftiger Unruhen und am Nil bekämpfen sich die ägyptische Armee und islamistische Terroristen. In der Türkei gehen die Menschen auf die Straße.
Nicht zu vergessen, der Krieg im Gaza-Streifen, der uns täglich neue Schreckensbilder liefert. Auch wenn der israelische Kampf in erster Linie der radikal-islamistischen Hamas gelten soll, hat er inzwischen auf palästinensischer Seite über 1.000 Menschenleben gekostet, darunter unzählige Kinder. Und ein Ende ist nicht in Sicht, das Gegenteil scheint gerade der Fall. Bei allen politischen und historischen Hintergründen kann ich nicht anders, als hier zu sagen: Stopp, Herr Netanjahu, wer hat das Recht auf Schulen und Krankenhäuser zu schießen!
Bleiben Sie gelassen und sorgen Sie da vor, wo es möglich ist…
… denn alles andere liegt nicht in unserer Hand. Ich will Ihnen wirklich keine Angst machen, aber das sind die Bilder, die wir und unsere Kinder inzwischen täglich sehen. Und dennoch können wir die Augen vor dem Weltgeschehen, das über Kurz oder Lang – wie auch immer – zunehmend die Weltwirtschaft beeinflussen wird, nicht verschließen.
Nicht zu unterschätzen ist dabei der psychologische Effekt solcher Szenarien, der sich meist zuerst an den Börsen bemerkbar macht. Aber, trotz allem, merken Sie sich: Es geht immer irgendwie weiter, natürlich auch an der Börse. Oft bieten gerade da vorübergehende Unsicherheiten gute Einstiegschancen. Und eines ist gewiss:
Bei dem zur Zeit insgesamt schwierigen Umfeld können Sie wenig selbst in die Hand nehmen, aber immerhin Ihre Kapitalanlage, indem Sie dabei den Rat erfahrener Experten beachten und so zum richtigen Zeitpunkt auf die richtigen Aktien setzen. Denn nach jedem Tief kommt ein Hoch, im Leben wie an der Börse, und dann sollte man gut positioniert sein. Für alle anderen Lebensbereiche gibt es leider kein Pauschalrezept.
Oder haben Sie eines? Die Frage ist durchaus ernst gemeint. Ihr Blick auf das Weltgeschehen interessiert mich unter Martina.Bisdorf@boersenspiegel.com.
Es grüßt Sie herzlich und kritisch zur Wochenmitte und wünscht uns allen friedlichere Bilder
Ihre
Martina Bisdorf
PS: Laut Angaben des Nachrichtenmagazins Deutsche Wirtschaftsnachrichten rechnet der russische Präsident Wladimir Putin mit einem Krieg in Europa. Das gehe aus einer Bemerkung eines seiner Vertrauten hervor. Und die Amerikaner spekulieren laut dem Blatt bereits auf den Sturz Putins. So viel zum Anteil der Medien am Weltgeschehen. Den Rest überlasse ich Ihrer Fantasie.
Zitat der Woche
„Krisenmanagement: Die Krise kommt, die Krise geht, die Welt ganz einfach fortbesteht.“
Wolfgang J. Reus (1959 - 2006), deutscher Journalist und Satiriker
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